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Historischer Weg 9

Kinderklinik

Erläuterung zum Fachgebiet

Pädiatrie (griech.: paid- = Kind; -iatros = Arzt) = Kinderheilkunde

Schwestern und Patienten der Kinderklinik, ca. 1910

1894 wurde der erste Lehrstuhl für Pädiatrie in Deutschland an der Charité in Berlin eingerichtet, damit etablierte sich die Kinderheilkunde als eigenständiges medizinisches Fach. Durch die zunehmende Industrialisierung und die damit einhergehende Verschlechterung der Lebensumstände war die Säuglings- und Kindersterblichkeit drastisch gestiegen.

Im Jahr 1905 starben in Berlin von 1000 Neugeborenen 240 Säuglinge im ersten Lebensjahr; im Deutschen Reich waren es jährlich rund 20 Prozent eines Geburtenjahrgangs.

1904 – 1948

Kaiserin Auguste Viktoria, Schirmherrin des KAVH

Das Städtische Krankenhaus Westend hatte von Anfang an den Pavillon III der Chirurgischen Abteilung auch für Kinder eingerichtet. 1909 wurde das „Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich“ (KAVH) unter der Schirmherrschaft der deutschen Kaiserin Auguste Viktoria am Charlottenburger Schlosspark als eigenständige Kinderklinik eröffnet. Um 1920 wurde das KAVH organisatorisch dem Paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossen und arbeitete medizinisch mit dem Krankenhaus Westend zusammen.

Die damals einzigartige Konzeption des KAVH bestand darin, dass in der Entbindungsabteilung eigens ausgebildete Geburtshelfer arbeiteten und eine gut ausgestattete und von den anderen Bereichen abgetrennte Säuglings- und Frühgeborenenabteilung mit hochmoderner technischer Ausrüstung zur Verfügung stand. Prof. Arthur Keller (1868–1934) war bereits 1908 in die Planung des speziellen Säuglingskrankenhauses eingebunden und dann von 1909 bis 1911 der erste Direktor. Er holte Antonie Zerwer (1873–1956), eine der ersten Säuglingskrankenschwestern in Deutschland, ans KAVH. Sie verfasste 1912 eine „Säuglingsfibel“, die in mehrere Sprachen übersetzt wurde. 1911 übernahm Prof. Leopold Langstein (1876–1933) die Leitung des Hauses. Er entwickelte eine künstliche Säuglingsnahrung, die dazu beitrug, die Sterblichkeit bei Säuglingen zu senken.

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde das KAVH Reichsanstalt, Dr. Gerhard Paul Joppich (1903–1992) 1942 ihr Leiter. Der für die Hitlerjugend (HJ) und den Bund Deutscher Mädel (BDM) tätige Kinderarzt gliederte dem KAVH eine Forschungsstelle für ärztliche Jugendkunde an.

 

1948 bis heute

Das Krankenhaus Westend wurde 1948 mit der Gründung der Freien Universität Berlin (FU) Universitätsklinikum und Sitz der Medizinischen Fakultät. Die enge Zusammenarbeit mit dem KAVH setzte sich fort. Prof. Joppich wurde zum Ordinarius für Kinderheilkunde der FU ernannt und leitete das KAVH bis 1954.

1972 übernahm Prof. Hans Helge (1930–2014) die Leitung. 1973 wurde das KAVH von der FU als Universitäts-Kinderklinik übernommen und organisatorisch direkt dem Universitätsklinikum Westend angeschlossen. In der Folge wurden die organisatorischen und medizinischen Grundlagen für eine multidisziplinäre, moderne Kinderklinik entwickelt.

Im Rahmen der Neuorganisation der Berliner Universitätsmedizin nach der Wiedervereinigung zog Mitte der 1990er Jahre die Universitäts-Kinderklinik an den Standort Virchow-Klinikum (heute: Charité Campus Virchow-Klinikum). 1991 übernahm die DRK-Schwesternschaft Berlin das Krankenhaus Westend. Die Kinderklinik des Rittberg-Krankenhauses der DRK-Schwesternschaft Berlin in Lichterfelde kam an den Standort Pulsstraße des Krankenhauses Westend, an dem auch die Frauenklinik untergebracht war. 2001 zogen Kinderklinik und Frauenklinik von der Pulsstraße direkt in das Krankenhaus Westend am Spandauer Damm um.

Mit der Konzeption einer eng miteinander kooperierenden Frauen- und Kinderklinik und einem Kreißsaal mit direkter Verbindung zur Neonatologie können hier die ehemals bahnbrechenden Ideen des KAVH zeitgemäß fortgeführt werden.

Seit 1991 leitete Prof. Hans-Ludwig Spohr (*1940) gemeinsam mit Prof. Hartmut Siemes (*1937), dem Leiter der Kinderklinik des Rittberg-Krankenhauses, die Kinderklinik Westend. Spohr war Pädiater und Neuropädiater und setzte sich besonders für die Behandlung von FAS (Fetales Alkohol Syndrom, vorgeburtliche Schädigungen durch Alkoholkonsum der Mutter) ein. Seit 2005 ist Priv.-Doz. Dr. Arpad von Moers (*1957), auch er Neuropädiater, Leiter der Klinik.

Mit der Gründung des Hedwig-von-Rittberg-Zentrums, benannt nach der Gründerin der Berliner Schwesternschaft, wurde Mitte der 2000er Jahre ein
interdisziplinärer Verbund für die Kinder- und Jugendmedizin geschaffen. Alle kindermedizinischen Fachgebiete, von der Allgemeinpädiatrie und Neonatologie über Pädiatrische Psychosomatik, Epileptologie und Neuropädiatrie sowie Diabetes bis zur Urologischen Kinderchirurgie, sind hier zusammengefasst. Seit 2005 gibt es auch eine interdisziplinäre Rettungsstelle speziell für Kinder und Jugendliche.

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin